Zeitstrahl Konstruktion des EU-Grenzregimes

Dies ist eine Auswahl von Ereignissen, die wir ausgewählt haben. Der Zeitstrahl ist nicht vollständig und bildet nicht alle Entwicklungen und Ereignisse entlang der sogenannten Balkanroute ab.


1951

Der Völkerbund, die Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen, verabschiedet die Genfer Flüchtlingskonvention, die eine international gültige Rechtsgrundlage zum Schutz von Flüchtlingen beinhaltet. Die Konvention wurde inzwischen von 149 Ländern unterzeichnet.

1985

Frankreich, Deutschland und die Benelux-Länder unterzeichnen das Schengener Abkommen, das
die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen ermöglicht, aber gleichzeitig zu einer verstärkten Kontrolle der Außengrenze führte.

1993

Die Innen- und Justizminister der Mitgliedstaaten beschließen die Errichtung der europäischen Polizeibehörde EUROPOL. Die Agentur für die Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden befasst sich mit unterschiedlichen Formen der internationalen Kriminalität. Darunter zählen sie auch die Bekämpfung der "illegalen Migration” und sind somit am Kampf gegen sogenannte “Schleusernetzwerke im “Westbalkan” involviert.

1999

Die Dublin-Verordnung tritt 1997 in Kraft und wurde 2003 und 2013 verschärft: Die Dublin Verordnung regelt die Zuständigkeiten von Mitgliedstaaten für Asylanträge und schreibt feste Kriterien vor. In der Dublin Verordnung ist verankert, dass ein Mitgliedsstaat (in der Regel das EU-Erst-Eintrittsland) für den Asylantrag verantwortlich ist.


Der Vertrag von Amsterdam tritt in Kraft. Der Vertrag von Amsterdam integriert das Schengener Abkommen in EU Verträge und es entstand der neue harmonisierte Politikbereich "Justiz und Inneres", dessen zentrales Ziel die Schaffung eines "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" war. Fragen der Harmonisierung von Migrations-, Asyl- und Grenzangelegenheiten waren ein zentraler Bestandteil dieses Projekts, wobei der Schwerpunkt auf der Schaffung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) lag.


Verabschiedung des Vertrags von Tampere. Der Vertrag bekräftigt das Vorhaben einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik und der Kooperation mit EU-Drittstaaten (sprich “Stärkeres außenpolitisches - d.h. EU-externes- Handeln”). Darüber hinaus planen sie einen “echten europäischen Rahmen des Rechts” der eine verstärkte Kooperation von Strafverfolgungsbehörden beinhaltet.

2000-2005

Beginn der Umsetzung eines Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS), in dem Mindeststandards für die Durchführung von Asylverfahren und die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden festgelegt wurden.

2000

In Kraft treten der EURODAC Verordnung. Diese beinhaltet die Schaffung einer gemeinsamen biometrischen Datenbank, in der Asylbewerber:innen mit ihren Fingerabdrücken registriert werden.

2003

In Kraft treten der Dublin-II-Verordnung.


Auf dem Thessaloniki-Gipfel im Jahr 2003 wurden die Staaten des Westbalkans offiziell als potenzielle Beitrittskandidaten zur Europäischen Union anerkannt. Gegenwärtig befinden sich Albanien, Nordmazedonien, Serbien und Montenegro im Prozess der EU-Beitrittsverhandlungen. Bosnien und Herzegowina sowie der Kosovo haben nach wie vor den Status potenzieller Kandidaten. Aufgrund dieser Entwicklung profitieren alle fünf Länder finanziell von der EU, vor allem durch das Instrument für Heranführungshilfe. Allein über dieses Finanzinstrument erhielten die sogenannten Westbalkan-Länder zwischen 2007 und 2019 über 216 Millionen Euro für Migrationsangelegenheiten.

2004

Gründung von Frontex. Frontex ist die Agentur für Grenz - und Küstenwache die das Ziel hat, Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Länder beim “Schutz” der Außengrenzen des EU-Raums des freien Verkehrs zu unterstützen. Entlang der Balkanroute ist Frontex daher auch in Nicht-EU-Ländern, wie Serbien, tätig.

2005

Global Approach to Migration (GAMM) ist der Beschluss eines übergreifenden Rahmen der Migrationspolitik der EU. Er befeuert die EU-Externalisierungspraktiken dadurch, dass die EU auf ‘echte’ Partnerschaft mit Nicht-EU-Ländern setzt und verstärkt alle Aspekte der Migration und Mobilität gemeinsam zu adressieren.

2007

Rückübernahmeabkommen zwischen EU und Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Montenegro tritt in Kraft. Diese beinhalten einerseits Visaerleichterungen für Staatsbürger:innen der genannten Länder und andererseits, dass sich die Länder bereit erklären, Staatsbürger:innen, sowie Drittstaatsangehörige, die über ebendiese Länder ohne Visa eingereist sind, zurückzunehmen. Die Serbische NGO Klikaktiv zeigt 2022 jedoch auch, dass Rückübernahmeabkommen dazu genutzt werden illegale Pushbacks zu formalisieren.

ab 2010

Politische Veränderungen in vielen Ländern Westasiens und Nordafrikas sowie existenzielle Nöte durch Dürren, die hohe Lebensmittelpreise und fehlendes Einkommen zur Folge haben, führen zu Unruhen und Wut auf das etablierte Regime. Es kommt zum Arabischen Frühling. In Syrien eskalieren Kämpfe zwischen Regime und Opposition, zusätzlich löst der Terror durch Daesh (2014/15) in Syrien und Irak eine große Fluchtbewegung aus.

2011

EGMR Urteil: Für eine gewisse Zeit wird Griechenland  aus dem Dublin System ausgenommen aufgrund von Mängeln in den Asylverfahren und Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention.

2013

Verabschiedung einer EU-Verordnung, für die “vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen”. Bei absehbaren Ereignissen besteht nun die Möglichkeit, Grenzkontrollen für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten einzuführen.


Neufassung der EURODAC Verordnung und der Dublin III Verordnung, Aufnahmebedingungsrichtlinie, Asylverfahrensrichtlinie.

2015

Grenzschließung durch Nordmazedonien


March of Hope, einem Protestmarsch, bei dem tausende Menschen zu Fuß die ungarisch-österreichische Grenze überquerten und somit das Grenzregime zeitweise zum Erliegen brachte.


Zeitweise führten einzelne EU-Nationalstaaten wieder nationale Grenzkontrollen ein.


Die Türkei und die EU einigen sich auf einen gemeinsamen Aktionsplan zur Bekämpfung von irregulärer Migration, der schließlich am 29.11.2015 auf dem EU-Türkei-Gipfel angenommen wurde.


Ungarn baut einen Grenzzaun zu Serbien und richtet sogenannte Transitzonen ein. Nur in diesen Zonen sollen Asylanträge gestellt werden können.


In kurzen Abständen wurden vom deutschen Bundestag zwei "Asylpakete" verabschiedet, die unter anderem die Rückführung abgelehnter Asylsuchender erleichterten und die Regelungen zum Familiennachzug für anerkannte Flüchtlinge aufhoben. Zudem wurden immer mehr Länder, insbesondere die Balkanstaaten Serbien, Kosovo, Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina und Mazedonien, als sogenannte "sichere Herkunftsstaaten" eingestuft. Als Folge davon gelten Asylanträge aus diesen Ländern für deutsche Behörden als "offensichtlich unbegründet" und werden in der Regel abgelehnt.


Mazedonien, Serbien und Kroatien haben begonnen, nur noch Staatsangehörige aus Syrien, Afghanistan und dem Irak ihre Grenzen überqueren zu lassen, u.a. führten sie Tageskontingente ein, die besagten wie viele Migrant:innen die Grenze überqueren dürfen.

2015-16

Ende 2015 und Anfang 2016 leitete die EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere EU-Staaten ein, da diese bestehende europarechtliche Vorgaben im Asylrecht nicht einhielten. Im April und Mai 2016 stellte die EU-Kommission Pläne für eine umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) vor, um es zu reformieren.

2016

Bei der Westbalkankonferenz wurde von Länder Südosteuropas und der EU (ohne Griechenland) beschlossen, die Grenzen schrittweise zu militarisieren und Grenzkontrollen verstärkt durchzuführen.


EU-Türkei Deal: Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei mit dem Ziel, eine Reduzierung der Fluchtbewegung über die Türkei in die EU zu erreichen.

ab 2016

Beginn des Ausbaus von Frontex, Erweiterung des Mandats der  Kontrolle der Migrationsströme auf Grenzschutz. Frontex übernimmt nun “zunehmend Verantwortung für die Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität”


EU-Komission plant externe Migrationspolitik durch sogenannten “Migrationspartnerschaften”mit Ländern wie Jordanien, Libanon, Tunesien, Niger, Mali, Äthiopien, Senegal, Nigeria und Libyen
zu intensivieren. Diese verknüpfen die Kooperation in der Migrationspolitik mit der Kooperation in anderen Politikfeldern, insbesondere der Handels-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik.

2017

Mehr Transitmigration über Kroatien, gefolgt von einem Anstieg an Polizeigewalt. Beobachtung von Kettenpushbacks (Slowenien-Kroatien-Serbien)


Die 6-Jährige Madina Hussiny kommt bei einem Pushback durch die Polizei ums Leben. Ihre Familie legte Klage ein und im November 2021 kam schließlich das Urteil: Kroatien hatte Madina und ihre Familie ohne individuelles Asylverfahren abgeschoben, damit gegen das Verbot der Kollektivausweisung verstoßen und den Tod Madinas im Laufe des Pushbacks wissentlich in Kauf genommen und damit ihr Recht auf Leben verletzt


Ende 2017 versuchten immer mehr Menschen, über Bosnien-Herzegowina in die EU zu gelangen.

2018

Im Laufe des Jahres 2018 kam es in den westlichen Balkanstaaten zu beispiellosen Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger, die sich für einen legalen Zugang zum Asylsystem in der EU eingesetzt haben.

2020

Zeitweise Aufbrechen des EU-Türkei Deals durch Öffnung der Grenzen durch den  türkische Ministerpräsident Erdogan.


Serbien unterzeichnet ein Status Agreement mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, welches 2021 in Kraft tritt.


EUGH Urteil: Transitzonen in Ungarn entsprechen Haft, Aktenzeichen C-924/19 und C-925/19.


Einführung der Embassy Prozeduren in Ungarn, die besagt, dass ein Asylantrag in Serbien oder Ukraine gestellt werden muss.


In einem Urteil des slowenischen Verwaltungsgerichts vom Juli 2020 wurde festgestellt, dass die Republik Slowenien die Rechte eines kamerunischen Staatsangehörigen verletzt hat. Insbesondere wurde das Recht auf Asyl, das Verbot von Kollektivausweisungen und der Grundsatz der Nichtzurückweisung verletzt, als sie den Betroffenen nach Kroatien zurückgeschickt hat. Von dort wurde er weiter nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben.


EU stellt “New Pact on Migration” vor, der Grenzverfahren und haftähnliche Bedingungen an den Außengrenzen vorsieht.

2021

Das Gericht in Rom hat ein neues Urteil zugunsten eines Klägers gefällt, der einer illegalen Kettenabschiebung von Italien über Slowenien und Kroatien nach Bosnien-Herzegowina ausgesetzt war.


Anfang des Baus eines Grenzzauns an der Serbisch-Mazedonischen Grenze.

2022

Nach einer Schießerei zwischen kriminellen Schleusergruppen kam es zu massiven Polizeirazzien und Zerstörungen von selbstorganisierten Camps. Viele Geflüchtete wurden gewaltsam in Aufnahmezentren gebracht. Der serbische Innenminister ließ sich bei einer Razzia fotografieren, wo people on the move in einer herabwürdigenden Pose vor ihm knieten.


EU-Innenministertreffen über den Anstieg an Zahlen von People on the Move entlang der ‘Balkanroute’ (+170% an Neuankünften in Serbien) Die EU übt Druck auf Serbien aus Visa Regelungen an EU anzupassen.


Die kroatische Polizei fängt massiv an sogenannte “Explusion Orders” auszustellen, welche beinhalten, dass Reisende den Europäischen Wirtschaftsraum innerhalb von sieben Tagen verlassen müssen.


Die EU-Kommission veröffentlicht den ”EU Action Plan on the Western Balkans”.

2023

U-Innenminister verabschieden die GEAS-Reform. Diese sieht Grenzverfahren, haftähnliche Bedingungen an den Außengrenzen, sowie vermehrte Abschiebungen vor.